Der ältere Mensch und Einlagen
Beim Alterungsprozess verändern sich alle Anteile des sensomotorischen Systems – es findet ein Ab- und Umbauprozess statt. Einlagen können hier einen positiven Einfluss auf die Biomechanik, die Balance und krankheitsspezifische Beschwerden ausüben. Von Wolfgang Laube, Michael Kaune und Gregor Pfaff
Der Alterungsprozess steht für sehr schleichend beginnende, zunächst sehr langsam fortschreitende und deshalb auch sehr lange unbemerkt ablaufende systematische strukturelle und damit funktionelle Veränderungen in allen Anteilen des sensomotorischen Systems (wie auch in allen anderen Geweben und Organen des Körpers). Diese Veränderungen beginnen mit dem Start der alterstypischen Entwicklung des anabolen Hormonstatus, der spätestens im dritten Lebensjahrzent stattfindet (Leifke et al. 2000, Weiss et al. 2012). Auf der Basis des strukturellen Um- und Abbauprozesses erleiden fortschreitend alle Bewegungsleistungen Einbußen und erreichen letztendlich die Gebrechlichkeit. Bekannt ist auch, dass eine chronische physische Inaktivität und der Alterungsprozess zu vergleichbaren Ergebnissen führen.
Mit den modernsten bildgebenden Verfahren lassen sich inzwischen die Verknüpfungen zwischen Gehirnstruktur und physischer Mobilität gut untersuchen. Eine geringe physische Mobilität bedeutet zugleich eine abgebaute graue und weiße Gehirnsubstanz (Rosano et al. 2007, Holtzer et al. 2011, 2014, Ezzati et al. 2014). Mit dem Alter wird die bewusste Kontrolle des Gehens erneut ausgeweitet. Der wieder erhöhte bewusste Kontrollbedarf des Gehens geht mit der verstärkten Aktivierung von „bewussten ZNS-Bereichen“, wie zum Beispiel dem „Vorstandsvorsitzenden des Gehirns“, dem präfrontalen Kortex, einher. Es besteht eine deutliche Abhängigkeit von der Integrität der grauen und weißen Substanz. Die Volumina der Nervenzellansammlungen einiger Gehirngebiete, die Gebiete der grauen Substanz, sind ein Spiegelbild der Muskelmasse (Kilgour et al. 2014).
Die Sauerstoffsättigung im präfrontalen Kortex steigt zwar bei jungen und alten Menschen beim Gehen an, aber bei den Älteren ist der Anstieg reduziert (Holtzer et al. 2011). Die Verkleinerung motorisch relevanter grauer Hirnregionen ist gleichbedeutend mit den klinisch sehr gut bekannten Merkmalen geringe Gehgeschwindigkeit und verminderte Leistungen der posturalen Regulationen für die Balance (Rosano et al. 2007, Callisaya et al. 2014). Genauso, wie der Muskel durch Inaktivität und Alter atrophiert und umgebaut wird, laufen auch im Gehirn Ab- und Umbauvorgänge ab. Der Status der Muskulatur zeigt den Status des Gehirns für die Sensomotorik an.
Die sensorischen Strukturen der Haut und der Propriorezeption der unteren Extremität verlieren an Funktion. Als Zeichen der bevorzugten Beteiligung der Pacini-Endorgane (FA-II-Sensoren, Beschleunigungssensoren; vgl. Laube et al. 2017) vermindert sich die Vibrations-empfindlichkeit. Gleichzeitig sinkt auch die Fähigkeit, verschiedene Reize zu unterscheiden. Die Veränderungen im Gehirn sind eben das Ergebnis erstens der zu geringen aktiven Anforderungen und zweitens der Altersprozesse. Wer nicht gefordert wird, verliert Struktur für die Funktion.
Ältere Menschen haben deshalb eine reduzierte Balanceregulation. Sie benötigen eine intensivere mechanische Stimulation der verbleibenden Sensoren. Nur dadurch wird das Gehirn gefordert die Verarbeitungsleistung noch ausreichend hochzuhalten. Das bedeutet dann auch, den bisherigen hochgradig automatischen Modus der Gangsensomotorik länger zu erhalten.
Dies kann bei 77 (± 5,6)-Jährigen mittels Messung der Stoffwechselaktivität (Infrarotspektroskopie) des präfrontalen Cortex auch nachgewiesen werden. Das Gehen mit einer intensiven plantaren Stimulation durch raue (textured) Einlagen verursacht eine Reduktion der Aktivität des präfrontalen Cortex (Clark et al. 2014). Damit wird die hohe Wertigkeit und Wichtigkeit der plantaren Mechanoafferenzen für eine effektive Organisation der Gangsensomotorik eindrücklich belegt. Diese Funktion sichert zugleich die Gehirnstruktur.{pborder}
Balance ist die Grundlage jeder erfolgreichen Bewegung. Sie ist ein ständiger neurophysiologischer Prozess. Dieser sorgt permanent für die muskulären Aktivitäten zur Kompensation der ständig einwirkenden Schwerkraft. Beim Stehen und Gehen wird der Körperschwerpunkt sowohl gegen die Schwerkraft als auch gegen bewegungsbedingte und von außen einwirkende Kräfte konstant im Bereich der sehr kleinen Fußfläche (Unterstützungsfläche) gehalten.
Der Einfluss von Einlagen auf Biomechanik und Kinematik
Ältere Menschen weisen deutlich veränderte Fußeigenschaften, plantare Belastungsmuster und eine reduzierte taktile Sensitivität und zentrale Verarbeitungskapazität auf.
Somit stellt sich zunächst die Frage: Wie beeinflussen biomechanische Veränderungen der Schnittstelle Fuß – Unterboden die kinematische Kette und die Körperstatik?
Betsch et al. (2011) konnten durch Veränderungen der Fersenhöhe und des lateralen Randes eine unmittelbare Auswirkung auf die Beckenposition aufzeigen. Sie konnten aber keine Veränderungen an der Wirbelsäule feststellen. Letzteres kann nur methodische Gründe haben. Eine veränderte Beckenposition muss auch die Wirbelsäule beeinflussen. Dies zeigen EMG-Ergebnisse der „LWS-eigenen“ Muskulatur (M. erector spinae).
Beim Laufen reduzieren dämpfende Einlagen die maximalen vertikalen Bodenreaktionskräfte, die Landegeschwindigkeit sowie die tibiale Beschleunigung (O’Leary et al. 2008).
Ogon et al. (2001) haben gemessen, dass es durch Sportschuhe und Einlagen beim Laufen zu einer deutlich geringeren zeitlichen Verzögerung zwischen dem Maximum der Bremsbeschleunigung und der Antwort der LWS-Muskulatur kommt. Die zeitliche Synchronisation zwischen den externen und kompensatorischen muskulären Kräften der Lendenwirbelsäule wird günstiger.
Die Wirkung von Schuhen beim Gehen und Laufen ist aber nicht einheitlich. Es gibt ungünstige und vorteilhafte Effekte in Abhängigkeit von den untersuchten Messwerten und der körperlichen Aktivität (Fong et al. 2013). Insgesamt zeigen aber vielfältige Untersuchungen, dass Schuhe mit Einlagen biomechanische und physiologische Merkmale des Gehens vorteilhaft verändern und in der Folge die kinematische Kette beeinflussen.
Einlagen und Balance
Zwischen 2005 und 2012 wurden 12 Untersuchungen veröffentlicht, die einen positiven Einfluss auf die statische Balance und deren Kontrolle belegen (Christovão et al. 2013).
Einlagen haben zunächst bereits einen günstigen Effekt auf die statische Balance, wenn ein voller Kontakt zwischen Fußsohle und Einlage hergestellt wird. Infolge dessen reduzieren sich während des Stehens die Schwankungen anterior-posterior und medio-lateral als auch die Schwankungsgeschwindigkeit (Shin et al. 2016). Mitbeteiligt an diesem Ergebnis ist auch, dass sich altersbedingt die Sensibilität der Fußsohle nicht einfach nur vermindert. Es kommt gleichlaufend zu regionalen Verschiebungen. Die Ferse verliert Sensibilität und als eine kom-pensatorische „biologische“ Strategie zur Balancesicherung verschieben sich die plantaren Druckwerte in Richtung Mittel- und Vorfuß (Machado et al. 2016). Somit können bereits allein die mechanischen Kontaktbedingungen von Schuhen und Einlagen für eine positive Beeinflussung der Balance genutzt werden.
Mit dem Ziel, die Stabilität der Balance zu verbessern, sind verschiedene Einlagentypen entwickelt worden. Auf der Basis der Veränderungen im sensomotorischen System haben sie vorrangig das Ziel, die Informationen von der plantaren Haut zu intensivieren.
Ein gut wirksamer Einlagentyp sind zum Beispiel die oben erwähnten textured (rauen) Einlagen. Diese sind bei Menschen mit hohem Fallrisiko als sehr effektiv gefunden worden (Qiu et al. 2013).
Bei jungen Menschen hat anhand der Schwankungen anterior-posterior und medio-lateral das Stehen auf textured Oberflächen keine Auswirkungen auf die posturale Stabilität. Desgleichen konnten keine Veränderungen der EMG-Aktivität der Muskeln der unteren Extremität gefunden werden (Hatton et al. 2009).
Bei 75 (± 5,0)-Jährigen hat diese Unterlage (Evalite Pyramid EVA) aber einen nachweisbaren Effekt, wobei die Struktur des rauen Materials offensichtlich eine Einflussgröße ist. Die Schwankungen medio-lateral reduzieren sich signifikant um 9,2 Prozent, wenn die Augen geschlossen sind. Wie bei jungen Menschen konnte auch bei den alten Menschen kein Einfluss auf die Aktivität der Beinmuskulatur gefunden werden (Hatton et al. 2011).
Die Wirkung auf die medio-lateralen Schwankungen ist hervorzuheben. Mit dem Alterungsprozess kommt es bevorzugt zur Verstärkung dieser Schwankungsrichtung (Raymakers et al. 2005). Sie ist zugleich mit der Sturzgefährdung (Melzer et al. 2004) verbunden, spiegelt gemeinsam mit dem Tandemstand und der Kraft des Faustschlusses die bisherige Sturzanamnese wieder (Stel et al. 2003) und ist zugleich ein gültiger Prädiktor zukünftiger Sturzereignisse (Maki et al. 1994). Es wurden aber auch gegenteilige Ergebnisse bei 79 (±7,1)-jährigen Frauen mit mindestens zwei Stürzen im zurückliegenden Jahr erhoben. Unmittelbar verursachten textured Einlagen keine Veränderungen des Gleichgewichtsverhaltens während des Stehens und sogar ungünstige Effekte beim Gehen. Die Gehgeschwindigkeit und die Schrittlänge reduzierten sich (Hatton et al. 2012). Der Fortschritt des Alterungsprozesses und der sensomotorischen Involution (Rückbildung) muss hier sicher als Einflussfaktor angesehen werden.
Entsprechend eines Reviews über 115 Artikel (Hatton et al. 2013) verändern Schuhe und Einlagen bei alten Menschen einschließlich bei denen mit chronischen sensorischen und muskuloskelettalen Veränderungen die statische und dynamische Kontrolle von Bewegungen posi-tiv. Der Grund ist eine provozierte Modifikation der Biomechanik, die zwingend Auswirkungen auf die Sensomotorik hat.
Einlagen bei Osteoarthritis des Kniegelenks
Zu beachten ist, dass das Kniegelenk bereits durch die alltäglichen Belastungen des Gehens und Treppensteigens Kräften zwischen 200 und 350 Prozent des Körpergewichts ausgesetzt ist (Kutzner 2012). Deshalb fördern sowohl sensomotorisch koordinative Defizite als auch Defizite der Kraft und Ausdauer die Entwicklung einer Arthrose und sind zugleich ein wichtiger therapeutischer Zugang.
Die Gonarthrose ist eine häufige Indikationsstellung für die Einlagenversorgung. Maßangefertigte Einlagen mit einem lateralen Keil und Fußgewölbe-unterstützung haben unmittelbar Vor-teile für die Gehgeschwindigkeit über eine Strecke von 10 Metern, das Treppensteigen und das Aufstehen vom Stuhl. Nach sechs Monaten kann eine Reduzierung der Schmerzen und gleichfalls eine Verbesserung der physischen Aktivität ermittelt werden (Hsieh und Lee 2014).
Patienten mit medialer Osteoarthrose, versorgt mit individuellen Einlagen mit Gewölbeunterstützung und lateraler Erhöhung von 5 – 8,7° berichten über eine Reduktion des Schmerzes nach einer 30-minütigen physischen Testaktivität. Gleichfalls waren in körperlicher Ruhe, in der Nacht und nach einer Gehstrecke von 50 Metern die Schmerzen geringer (Skou et al. 2013).
Eine Veränderung der biomechanischen Beanspruchung des arthrotischen Kniegelenks steht für die Reduktion des Schmerzes. Einlagen mit lateralem Keil (7°) reduzieren während des Gehens bei Patienten mit beidseitiger Arthrose (66 ± 5,3 Jahre) sofort das ungünstige Abduk-tionsmoment im Kniegelenk. Dieser positive Effekt blieb auch nach sechs Wochen unverändert. Das Tragen der Einlage über diesen Zeitraum hatte aber auch einen positiven Effekt auf den Bewegungsablauf des Gehens ohne Einlagen. Auch hierbei offenbarte nun die Ganganalyse ein reduziertes Abduktionsmoment. Des Gleichen waren die Schmerzintensität reduziert und die physische Funktion (WOMAC Index) verbessert (Hsiu et al. 2015).
Bei medialer Kniegelenkosteoarthrose und gleichzeitig proniertem Fuß bewirken Einlagen mit lateralem Keil und individuell angepasster Unterstützung des Fußgewölbes deutliche Verbesserungen des Treppensteigens und einen signifikant günstigeren Score bei der Einschätzung des Schmerzes, der Gelenksteifigkeit sowie der Gelenkfunktion (WOMAC-scale, Foot Function Index) (Hunt et al. 2017).
Der gleiche Einlagentyp führt bei Patienten mit Osteoarthrose des Kniegelenks und Plattfuß zur direkten Verminderung des Adduktionsmoments im Kniegelenk um 6 Prozent. In der Frontalebene reduzieren sich die Fußbewegungen und der Fußkomfort wird höher eingeschätzt. Umgehende Effekte auf den Schmerz konnten aber nicht festgestellt werden. Das Design der Einlage sollte somit die biomechanische Belastung des Kniegelenks reduzieren und gleichzeitig das Risiko für beziehungsweise das Vorhandensein von Beschwerden des Sprunggelenks beachten (Hatfield et al. 2016).
Tipnis et al. (2014) prüften die Auswirkung variierender lateraler Keilhöhen auf das Kniegelenkadduktionsmoment und den subjektiven Fußkomfort. Keile vermindern nur bis 6° die Momentbelastung. Der Komfort bleibt bis 8° und damit im optimal wirksamen Bereich der Schnittstellenveränderung unverändert. Entsprechend wird ein Keil von 4 – 6° für die wünschenswerte biomechanische Beeinflussung als optimal angesehen.
Eine eindeutige Verknüpfung zwischen der Reduktion des Knieadduktionsmoments durch Einlagen mit lateralem Keil und Veränderungen des Knieschmerzes konnte aber bisher nicht sicher dargestellt werden (Jones et al. 2014).
So konnten auch Jones et al. (2015) eine Reduzierung der medialen Gelenkbelastung durch Einlagen mit lateralem Keil messen. Die Reduzierung des Schmerzes war aber gegenüber Mobility Schuhen deutlich geringer obwohl bei diesen die biomechanischen Wirkungen nicht nachweisbar waren. Letztere hatten dagegen einen erhöhten subjektiven Schuhkomfort zur Folge, der ohne weiteres an der Reduktion der Schmerzempfindung wesentlich beteiligt gewesen sein kann. Die subjektive Empfindung „Schuhkomfort“ hat neurophysiologische Konsequenzen für den Bewegungsablauf, die plantare Druckverteilung wie auch für den Schmerz (Burke 2012, Che et al. 1994).
Anschrift für die Verfasser:
PD Dr. med. sc. (habil) Wolfgang Laube
Kolumbanstr. 4
6844 Altach
Österreich
Ausgabe 09 / 2017
Literaturverzeichnis können Sie im PDF einsehen:
Artikel als PDF herunterladen