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1. August 2016
Annette Switala
Interview mit RA Burkhard Goßens

Das Anti-Korruptionsgesetz ist da – Grund zur Verunsicherung?

Viele Leistungserbringer haben Sorge, dass durch das neue Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen auch sinnvolle, qualitätsorientierte Kooperationen zwischen Ärzten und Gesundheitshandwerkern in den Fokus der Staatsanwaltschaften geraten. Doch ist damit wirklich zu rechnen? Ein Interview mit Rechtsanwalt Burkhard Goßens, Berlin.
Handschellen,
Foto: Bits and Splits/Fotolia

Herr Goßens, im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussionen um das Anti-Korruptionsgesetz standen in den letzten Monaten Ärzte und Apotheker. Inwieweit betrifft dieses Gesetz Orthopädieschuhmacher?

Die neuen §§ 299a, 299b StGB normieren Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen. § 299a StGB betrifft im Wesentlichen die Ärzte. § 299b StGB auch Orthopädieschuhmacher. Diese machen sich zum Beispiel dann strafbar, wenn sie einem Arzt oder einem Dritten dafür Vorteile anbieten, versprechen oder gewähren, dass zum Beispiel der Arzt sie bei der Verordnung von Hilfsmitteln oder beim Bezug von Hilfsmitteln in unlauterer Weise bevorzuge. Darunter fällt auch die gezielte Zuweisung von Patienten ohne sachlichen Grund gegen Vorteile.

 

Woran liegt es, dass der Gesetzentwurf später als erwartet verabschiedet worden ist?

Zuletzt waren es vor allem verfassungsrechtliche Bedenken der betroffenen Heilberufler, die für Verzögerungen gesorgt haben. Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah noch vor, auch das Berufsrecht der Heilberufler zur Grundlage des Strafrechts zu machen.

Das Problem war jedoch, dass das jeweilige Berufsrecht der Heilberufler auf Landesebene unterschiedlich geregelt werden kann. Das hätte dazu führen können, dass das Anti-Korruptionsgesetz, ein Bundesgesetz, aufgrund des Verweises auf die ­Berufsgesetze der Bundesländer unterschiedlich von den Richtern hätte angewandt werden müssen. Der Verstoß gegen unsere Verfassung, also gegen das im Grundgesetz in Art. 3 normierte Gleichheitsgebot, war damit vorprogrammiert. Ärzte und insbesondere Apotheker hatten mit ihren verfassungsrechtlichen Bedenken und Einwänden das Gesetzgebungsverfahren verzögert. Der Gesetzgeber beziehungsweise der Rechtsausschuss war mit der Bearbeitung mit den zu großen Teilen berechtigten Einwänden der Lobbyisten gut beschäftigt.

Burkhard
Foto: Goßens
RA Burkhard Goßens

Dass Zuwendungen an Ärzte und bestimmte Formen der Zusammenarbeit nicht erlaubt sind, regelte bereits § 128 SGB V. In welchem Verhältnis steht dieser zum neuen Strafrechtsparagraphen?

§ 128 SGB V regelt die unzulässige Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten im Sozialrecht und ist zum Glück nicht zu einer Strafrechtsnorm geworden. Während die Strafrechtsnormen den gesetzlichen Strafanspruch des Staates gegen Delinquenten normieren, regelt der sozialrechtliche § 128 SGB V die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern und bezeichnet unzulässiges Miteinander zwischen Leis­tungserbringern und Vertragsärzten.

Wenn Orthopädieschuhmacher ge­mäß § 128 SGB V unzulässig mit Ärzten zusammenarbeiten, verstoßen sie regelmäßig auch gegen ihre Verträge mit den Krankenversicherungen. Bei Betrugsverdacht ermittelten die Behörden auch bisher schon gemäß § 263 StGB gegen die Beteiligten.

Die Verträge der Krankenkassen mit den handwerklichen Leistungserbringern zitieren regelmäßig § 128 SGB V und machen ihn damit zur Grundlage für Vertragsstrafen oder Sanktionen, wenn Leistungserbringer gegen Verträge verstoßen, auch wenn Betrug oder wett­bewerbswidriges Verhalten vorliegen.

§ 128 SGB V sieht jedoch keine strafrechtlichen Sanktionen vor. Insbesondere waren andere Heilberufler mangels ­direkter vertraglicher Beziehungen zu den Krankenkassen außen vor, während die Gesundheitshandwerker bei Vertragsverstößen zur Kasse gebeten wurden. Da wurden handwerklich mangelfrei erbrachte Leistungen unvollständig oder gar nicht vergütet und Vertragsstrafen geltend gemacht.

Die neuen Straftatbestände ermöglichen nun, dass bei Korruption strafrechtlich gegen Ärzte, Heilberufler und gegen nichtärztliche Leistungserbringer vorgegangen werden kann.

 

Warum musste der bisherige § 299 StGB dafür verändert werden?

Der § 299 StGB regelt die Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr und betrifft nur Angestellte und Beauftragte von Unternehmen. Das bekannte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. März 2012 hatte erbracht, dass man damit niedergelassene Ärzte nicht belangen kann, weil sie keine  Amtsträger oder Beauftragte der Krankenkassen sind. In der Urteilsbegründung wurde ausdrücklich formuliert, dass der Gesetzgeber gefordert sei, diese Gesetzeslücke zu schließen, damit auch niedergelassene Ärzte strafverfolgt werden können, wenn sie sich bestechen lassen oder bestechen. Die Schließung der Gesetzeslücke ist nun durch die neuen §§ 299a und 299b StGB erfolgt.

 

Ergeben sich durch das Strafrecht ­neuartige Strafen?

Bei unzulässiger Zusammenarbeit gemäß § 128 SGB V drohten wie gesagt bislang Retaxierung, Vertragsstrafe oder bei wiederholten und besonders schweren Verstößen auch der vertragliche Ausschluss zur Versorgung der Versicherten bis zu zwei Jahren. Die §§ 299a und 299b StGB sehen bei Korruption zusätzlich Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe für die Täter vor.

Da die neuen Straftatbestände unabhängig neben § 128 SGB V gelten, kann zukünftig Korruption für die Beteiligten richtig teuer werden. Denn neben dem Strafrecht gelten weiterhin das Sozialrecht, § 128 SGB V und die Verträge der Leistungserbringer mit den Krankenkassen. Das bedeutet, neben der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe werden die Krankenversicherungen auch weiterhin bei Verstößen gegen § 128 SGB V Leistungen kürzen, also Retaxierungen gegebenenfalls auf null vornehmen und Vertragsstrafen geltend machen.

In besonders schweren Fällen bestimmt der neue § 300 StGB Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

 

Der neue Straftatbestand ist zum Offizialdelikt erklärt worden. Was bedeutet das?

Wenn Ermittlungsbehörden, also ­Polizei oder Staatsanwaltschaft, von ­Bestechlichkeit oder Bestechung im Gesundheitswesen Kenntnis erlangen, haben sie zukünftig die Korruption von Amts wegen zu verfolgen. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass Bestechlichkeit oder Bestechung im Gesundheitswesen immer auch die Interessen der Allgemeinheit in nicht unerheblicher Weise berührt.

 

Welche Intention verfolgt der Gesetzgeber mit dem neuen Strafrechtsparagraphen?

Der Gesetzgeber zielt vor allem auf die Stärkung des Wettbewerbsrechts ab. Er möchte den lauteren Wettbewerb stärken.

Eine dahinter stehende Intention dürfte sein, Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen zu erzielen. Denn Bestechungsgelder zahlt das System ja mit; letztlich die Patienten über ihre Krankenversicherung. Mit Sicherheit erhofft man sich, dass Produkte und Gesundheitsleistungen zumindest nicht mehr so stark im Preis steigen, wenn weniger Bestechungsgelder gezahlt werden.

Auch die Patientenrechte sind dann gestärkt, wenn alle Ärzte bei Verordnungen nicht fiskalische Interessen, sondern die Gesundheit und die Genesung der Patienten mit den wirksamsten Mitteln im Auge haben.

 

Im Vorfeld führte das Anti-Korruptionsgesetz zu großen Ängsten in der Branche. Man befürchtet, dass auch sinnvolle Kooperationen zwischen Ärzten und Leistungserbringern unter Generalverdacht gestellt werden. Ist diese Sorge berechtigt?

In der Tat haben Verbände wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) oder der BVMed kritisiert, dass das Gesetz dazu beitragen könnte, dass auch gewünschte Kooperationen in den Fokus der Staatsanwaltschaften geraten. Die KBV hat bereits Mitte 2015 gefordert, in einem eigenen Absatz des neuen Straftatbestandes darzulegen, welche Kooperationen erlaubt sind, und in einem weiteren Absatz detailliert die Korruptionstatbestände zu benennen.

Da Straftatbestände jedoch nur das beinhalten, was nicht erlaubt ist, und aus der Sicht des Strafrechts alles das erlaubt ist, was nicht verboten ist, erfolgte aus rechtsystematischen Gründen keine Bezeichnung einer Positivliste.

Auf der anderen Seite hätte der Gesetzgeber durch eine enumerative Aufzählung des verbotenen korruptiven Handelns für mehr Rechtsklarheit sorgen können. In diesem Zusammenhang hätte der Gesetzgeber – unter Bezeichnung der erlaubten Kooperationen – zum Beispiel Verhaltensweisen aufzeigen können, die bei den sinnvollen und erlaubten Kooperationen verboten sind.

Dort wo klare Tatbestände fehlen, greifen Richter auf die Ausführungen in der Gesetzesbegründung zurück. Da die Gesetzesbegründung für das neue Antikorruptionsgesetz vieles offen lässt, werden die Richter im Wesentlichen das Gesetz zukünftig zu interpretieren haben.  Da verdächtige Verhaltensweisen von Amts wegen verfolgt werden müssen, besteht in der Tat eine berechtigte Sorge, dass sinnvolle Kooperationen zwischen Ärzten und Leistungserbringern kriminalisiert werden.

 

Ein prominentes Beispiel für eine qualitätsorientierte Zusammenarbeit von Orthopädieschuhmachern und Ärzten ist die Versorgung des diabetischen Fußsyndroms. Die Verträge zur Integrierten Versorgung unterzeichnen die interdisziplinären Vertragspartner namentlich. Macht man sich mit dieser Form der ­Kooperation nun auch strafbar?

Nein. Partner von IV-Verträgen müssen sich nicht sorgen. Diese in § 140a SGB V normierten Kooperationen sind sowohl vom Gesetzgeber als auch von den Krankenkassen erwünscht.

Die Zusammenarbeit der heilberuf­lichen Vertragspartner erfolgt sowohl für die Krankenversicherungen als auch für die Patienten transparent. Die Patienten schreiben sich in die Versorgungsverträge unter ausführlichen Hinweisen auch auf den Datenschutz freiwillig ein.

Heilberufler, die innerhalb der IV-Verträge die neuen Korruptionstatbestände verwirklichen, werden jedoch vom neuen Antikorruptionsgesetz genauso erfasst wie alle anderen.

 

Sorge bereitet vielen auch, dass Wettbewerber die gezielte Zuweisung von Pa­tienten an einzelne Leistungserbringer anzeigen könnten. Sehen Sie diese Gefahr ebenfalls?

Mit dem Antikorruptionsgesetz können selbstverständlich auch Wettbewerber Ermittlungen gegen Konkurrenten auslösen. Zudem gibt und gab das Wettbewerbsrecht zahlreiche Möglichkeiten, um wettbewerbswidriges Verhalten zu ahnden. Zu uns kommen immer wieder Mandanten, die sich nach Möglichkeiten erkundigen, was sie unternehmen können, wenn ein Arzt statt mit ihnen nur mit einem anderen Leistungserbringer zusammenarbeitet.

Dort wo ein Arzt ohne sachlichen Grund regelmäßig einen bestimmten handwerklichen Leistungserbringer empfiehlt, verstößt er gegen das Wettbewerbsrecht und kann zum Beispiel abgemahnt werden.

Ein Arzt, der jedoch aus sachlichen Gründen, bestenfalls auf Nachfrage des Patienten, einen bestimmten, gut qualifizierten Gesundheitshandwerker empfiehlt, um seinem Patienten die beste Versorgung zu ermöglichen, verstößt nicht gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Mitgliedschaften zum Beispiel in der AG FUSS, Fortbildungen, wie sie zum ­Beispiel der Zentralverband Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) vorsieht, die Zertifizierungen oder eine Schwerpunkttätigkeit eines Betriebes stellen meines Erachtens sachliche Gründe für eine Empfehlung eines Leistungserbringers dar.

Immer dort, wo derartige Zuweisungen mit unzulässigen Vorteilen erkauft werden, wird zukünftig strafrechtlich zu ermitteln sein.

 

Wie gefährdet sind  interdisziplinäre Fußsprechstunden durch das neue Gesetz? Sollte man als OSM noch daran mitwirken?

Dort, wo OSM regelmäßig gemeinsame Fußsprechstunden mit Ärzten anbieten, ist Vorsicht geboten. Hier muss sauber dokumentiert werden, dass man zur Zusammenarbeit, also zur Sprechstunde, auf Wunsch des Arztes in die Praxis oder die Klinik gekommen ist. Dabei ist die Expertise, also das Sonderwissen des qualifizierten Leistungserbringers, der sachliche Grund für die Zusammenarbeit.

Auf keinen Fall sollte der OSM eine Fußsprechstunde in einer ärztlichen Praxis abhalten, bei der der Arzt gar nicht zugegen ist. Abstand sollte man auch von sachgrundlosen, regelmäßig wöchent­lich stattfindenden Sprechstunden nehmen. Davon bekommen die Task-Forces der Krankenkassen, die nach
§ 197a SGB V eingerichtet worden sind, schnell Wind. Da werden auch mal gerne Mitarbeiter oder Beauftragte der Krankenkassen als sogenannte „Agent Provocateurs“, also Lockspitzel, in die Arztpraxen geschickt, um die Zusammenarbeit zwischen Arzt und handwerklichen Leistungserbringer zu überprüfen.

Außerdem rate ich regelmäßig, zulässige Zusammenarbeit wie auch erlaubte Depots den Vertragspartnern, also den Krankenversicherungen, zumindest den wichtigen Primärkassen, schriftlich anzuzeigen und auf Transparenz zu achten. Dadurch kann man unnötige Ermittlungen, insbesondere initiiert durch die ­Kassen, vermeiden.

 

Auch wenn man annehmen darf, dass ­gewünschte Kooperationen geschützt werden, besteht also noch keine Rechts­sicherheit für diese Formen der Zusammenarbeit?

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, in dem alle Fraktionen vertreten sind, hat das Gesetz am 13. April 2016 abschließend beraten. Nur die Fraktion von CDU/CSU sah es dabei als schwierig an, eine Abgrenzung zwischen den gewünschten vielfältigen Koopera­tionsformen und der Korruption hinzubekommen. Die Fraktion der SPD ist der Meinung, dass durch das Tatbestandsmerkmal der Unlauterkeit gewünschte Kooperationen straffrei bleiben. Da ist was dran, denn gewünschte Kooperationen, mit denen auch Geld gespart werden kann, können nicht unlauter sein. Wie bereits gesagt: Der Gesetzgeber hat es versäumt, hier für Klarheit zu sorgen.

Zur Beruhigung kann aber gesagt werden, dass der Gesetzgeber mit dem neuen Strafrechtsparagraphen nicht die von den Kostenträgern gewünschten, patienten- und qualitätsorientierten Kooperationen im Fokus hat. Bestechlichkeit und Bestechung in der Gesundheitswirtschaft kosten das System, also letztlich uns Versicherte, jedes Jahr Millionen. Die neuen strafrechtliche Bestimmungen zur Sanktionierung von Korruption im Gesundheitswesen sollen in erster Linie den lauteren Wettbewerb stärken und damit auch die Kostenstabilität im Gesundheitsmarkt.

Dort, wo es sozialrechtlich oder berufsrechtlich verankerte Gründe für die Zusammenarbeit gibt, werden Staatsanwaltschaften keine Anklagen erheben.  Es gibt aber zahlreiche Hinweise, dass die Task-Forces der Krankenkassen und die Schwerpunktstaatsanwaltschaften bei den Landeskriminalämtern nur darauf gewartet haben, dass der neue Strafrechtsparagraph verabschiedet wird. Im Fokus werden aber zunächst sicher die „großen Fische“ stehen.

Nachdem das Gesetz vom Bundespräsidenten unterzeichnet ist, kann es im Bundesgesetzblatt verkündet werden und tritt danach einen Tag später in Kraft. Alle, die derzeit noch etwas in Ordnung bringen müssen sollten sich deshalb beeilen um straffrei zu bleiben. Denn im materiellen Strafrecht gibt es keine Rückwirkung  von Gesetzen.

Herr Goßens, vielen Dank für das ­Gespräch!

Das Interview führten Annette Switala und Wolfgang Best

Artikel aus Orthopädieschuhetchnik 5/2016

 

 

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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