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1. August 2016
Redaktion

Ballyana: Industriekultur und Schuhgeschichte

In der Stiftung Ballyana im schweizerischen Schönenwerd lebt die Industriekultur, die einst die ganze Region prägte, weiter. Das kleine aber feine Museum widmet sich ganz der Geschichte der Familie Bally und ihrer Rolle in der Entwicklung der Schuhproduktion und der Bandweberei. Dabei wird auch ein wesetnlicher Teil der Industriegeschichte erzählt und erlebbar gemacht, denn einige der Maschinen sind noch funktionstüchtig und lassen die Besucher live miterleben, wie früher produziert wurde.
Von Wolfgang Best


Foto: BALLYANA - Sammlung Industriekultur

Über 125 Jahre lang galt die Firma Bally als Vorzeigebeispiel für die Schweizer Industrie. Das Unternehmen war international erfolgreich, gehörte zeitweise zu den größten Schuhfabriken der Welt und führte schon früh vorbildliche Sozialleistungen für die Mitarbeiter ein.
Doch wie viele andere Schuhfabriken in Europa geriet auch Bally in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in die Krise. Das Unternehmen, das bis dahin immer von der Familie Bally geführt wurde, musste 1976 an einen Investor verkauft werden. Ab dieser Zeit wechselte Bally mehrfach den Besitzer, doch keinem gelang es, die Fabrikation in Schönenwerd im Kanton Solothurn aufrecht zu erhalten. Anfang der 1990er-Jahre endete ein Stück Schweizer Industriekultur mit der Schließung der Fabrikation am Stammsitz.
Geblieben sind Schönenwerd Teile der ehemaligen Fabrikhallen, einige der Villen der Familie Bally und der Bally Park. Manche der Fabrikhallen wurden vermietet oder verkauft. In einer der Hallen hat jedoch die rührige Ballyana-Stiftung ihre Heimstatt gefunden, die sich der Aufarbeitung und Präsentation dieses wesentlichen Teils der Schweizer Indus­triegeschichte verschrieben hat.
Archive, Dokumente, Bilder aber vor allem die Maschinen und eine einmalige Schuhsammlung sind Zeugen der Firmengeschichte, die sich aus kleinsten Anfängen entwickelte. Den Anfang machten dabei noch nicht einmal die Schuhe, sondern mit der Bandweberei ein anderer, für die Nordwestschweiz wichtiger Industriezweig. Diese Bänder wurden zum Beispiel zur Verzierung von Hüten und Kleidern sowie als Zierband für Verpackungen verwendet.

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Von der Bandweberei zum Schuhhersteller
Der 1748 in Vorarlberg geborene Franz Ulrich Bally kam 1778 in die Schweiz, um als Maurer beim Bau der Bandfabrik von Rudolf Meyer zu arbeiten. Er blieb, stieg in den Handel mit den Meyer’schen Artikeln ein und zog mit dem Warenkasten auf dem Rücken von Dorf zu Dorf. Einige Jahre später ließ er sich in Schönenwerd nieder und gründete sein eigenes Handelsgeschäft. Seine beiden Söhne führten nach seinem Tod im Jahr 1810 das Handelsgeschäft weiter, bevor sie 1823 eine eigene Bandweberei gründeten. Der Einstieg in die Schuhproduktion erfolgte erst im Jahr 1851. Sie sorgte jedoch schnell für das Wachstum des Unternehmens. Statt der bis dahin üblichen handwerklichen Produktion durch die Schuhmacher setzte Bally auf Arbeitsteilung und Mengenproduktion. Grundlage für den Einsatz von Maschinen in der Schuhproduktion war 1862 die Inbetriebnahme einer Dampfmaschine der Firma Sulzer, die über Transmissionsriemen die Maschinen antrieb.
Bis zum Jahr 1900 konnte Bally so zu einer der größten Schuhfabriken der Welt wachsen. Eine Besonderheit in dieser Zeit war das soziale Engagement von Bally. Carl Franz Bally, damals Leiter des Unternehmens, gründete für seine Mitarbeiter eine Krankenkasse und einen Konsumverein und unterstützte Schulen, Kindergärten und die Feuerwehr.
Um das Jahr 1900 wagte man einen Schritt, der heute bei vielen Markenherstellern wieder im Trend liegt: Bally gründete eigene Schuhgeschäfte und stieg selbst in den Schuhhandel ein. In dieser Zeit begann auch der Wandel vom Hersteller von „Stapelware“, bei der der Name des Herstellers nicht so sehr im Vordergrund stand, zum Markenhersteller. Über einprägsame Bilder und Werbebotschaften und professionelles Marketing positionierte sich Bally als Hersteller hochwertiger und modischer Schuhe.
Der Aufstieg von Bally zur weltweit bekannten Marke, die Qualität, Passform und Mode zu verbinden wusste, ist eng mit dem Namen Max Bally verbunden. Er hielt engen Kontakt zu den Schuhhändlern und besuchte alle wichtigen Modemessen. Teils entwarf er schon auf der Rückfahrt von den Messen neue Modelle, die den einzigartigen Charakter der Bally-Schuhe formten. Bally-Schuhe waren nie billig, boten aber immer ein gutes Preis-Leis­tungsverhältnis. Was Max Bally jedoch nicht gelang, war die Zukunft von Bally zu ordnen. In den sechziger und siebziger Jahren, als Bally durch ausländische Konkurrenz und den Preiszerfall bei Schuhen unter Druck geriet, fehlten nicht nur Max Ballys Handschrift bei den Kollektionen, sondern auch die Innovationen und Visionen, um den Herausforderungen der neuen Zeit gewachsen zu sein. Viel ist über den Niedergang von Bally geschrieben worden. Manche machen die Schwiegersöhne, die zu wenig Ahnung von Schuhen gehabt hätten, verantwortlich. Andere sagen, die Krise sei schon vorher da gewesen und letztlich sei Bally an einer Reihe komplexer Faktoren gescheitert.

Erlebbare Schuhgeschichte
Bally ging in den letzten vierzig Jahren durch die Hände mehrerer Investoren und lebt heute als Marke im Luxussegment weiter. Sie gehört zur Labelux-Gruppe und hat ihren Sitz in Caslano im Tessin. Mit dem Stammsitz Schönenwerd verbindet Bally nur noch die Geschichte, die man heute in der „Sammlung Industriekultur Ballyana“ nacherleben kann.
Die Ballyana Stiftung für Familien- und Firmengeschichte hat nicht nur die wesentlichen Daten und Dokumente zur Geschichte der Firma Bally zusammengetragen und aufgearbeitet. Sie hat auch viele Maschinen aus der Geschichte der Schuhherstellung gerettet, an denen sich die Entwicklungsgeschichte der maschinellen Schuhherstellung verfolgen lässt. Die Sammlung alter Textil- und Schuhproduktionsmaschinen versetzt die Besucher in die Gründerzeit zurück. In einer ehemaligen Produktionshalle der Bandweberei Bally kann man sehen, hören und riechen, wie früher gearbeitet wurde. Einige der Maschinen sind noch funktionstüchtig, so dass man live erleben kann, wie in früheren Zeiten produziert wurde. Die gesamte Ausstellung ist mit viel Liebe zum Detail aber vor allem sehr kenntnisreich aufbereitet. Vom Holzklotz bis zum Leisten und seine verschiedenen Weiten bis über die Schaftgestaltung und –herstellung und der Fertigung in den unterschiedlichen Macharten werden an zahlreichen Schautafeln die Entwicklungsschritte vom Entwurf bis zum fertigen Schuh nachgezeichnet. Und es gibt natürlich viele Schuhmodelle zu sehen, an denen sich die Entwicklung der Schuhmode der letzten hundert Jahre ablesen lässt. Auch die Ausflüge von Bally ins Orthopädiefach, zum Beispiel mit einer Lähmungsorthese, fehlen nicht.
Neben der Schuhproduktion wird auch die Geschichte des Unternehmens und der Familie Bally facettenreich und anschaulich präsentiert. Die Anfänge von Bally sind auch noch in der Maschinensammlung präsent. Bis in die 1920er-Jahre war die Bandweberei in der Nordwestschweiz ein wichtiger Wirtschafts-
zweig. Noch bis 2005 wurden in Schönenwerd industriell Bänder gewebt. Heute findet das nur noch in der Ballyana-Stiftung statt, wo Enthusiasten die alten Maschinen warten und mit ihnen auch verschiedenste Bänder produzieren, die im Museumsshop erworben werden können.

Abbildung: OST

Ausgabe 5/2016

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
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