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5. Februar 2019
Annette Switala
1. Sensomotorik-Symposium

Perspektiven für die sensomotorische Einlagenversorgung

Trotz zahlreicher Versorgungserfolge haben sensomotorische Einlagen noch keinen Eingang ins Hilfsmittelverzeichnis gefunden – und mit der Fortschreibung PG 08 wurde die Abrechnung erschwert. Der GKV-Spitzenverband begründete dies mit dem fehlenden Nachweis des medizinischen Nutzens. Wie aber können Wirksamkeitsnachweise geschaffen und die Krankenkassen von der Qualität der Versorgung überzeugt werden? Dies diskutierten Experten auf dem 1. Sensomotorik-Symposium von C. Maurer Fachmedien, das am 7. Dezember 2018 in Stuttgart stattfand.
Podiumsdiskussion
Foto: C. Maurer Fachmedien
Die Experten auf dem 1. Sensomotorik-Symposium von C. Maurer Fachmedien, 7. 12. 2018 in Stuttgart: (v.l.) Stefan Woltring, Prof. Bernhard Greitemann, Dr. Michael Schuler, Thomas Stief, Lothar Jahrling, RA Jörg Hackstein und Wolfgang Best.

Es geht uns heute nicht darum, praktisch zu vermitteln, wie man sensomotorische Einlagen macht, sondern darum zu diskutieren, wie man ihre Wirksamkeit belegen kann“, erklärte Wolfgang Best, Chefredakteur der Zeitschrift Orthopädieschuhtechnik, bei der Begrüßung. Anlass für die Organisation des 1. Sensomotorik-Symposiums war die Fortschreibung der PG 08 im Hilfsmittelverzeichnis, in die sensomotorische Einlagen aufgrund mangelnder Nachweise des medizinischen Nutzens ausdrücklich nicht aufgenommen wurden.

„Wir haben uns gesagt: Diese Herausforderung müssen wir annehmen. Wenn aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes nicht genug Evidenz vorhanden ist, dann müssen wir uns fragen: Was würde es heißen, diese Evidenz zu schaffen?“. Allerdings, so Best, habe er im Gespräch mit dem Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, Gernot Kiefer, den Eindruck gewonnen, dass man dort selbst noch nicht wisse, welche Art Evidenz gefordert werden soll, die Klärung diese Frage stehe noch auf dem Arbeitsprogramm des Spitzenverbandes. „Das sollte uns nicht davon abhalten, in Vorleistung zu treten und den Krankenkassen zu sagen: Hier haben wir eine Studie, was sagt ihr dazu?“

Mit 78 Teilnehmern war die Veranstaltung komplett ausgebucht, und zusammen mit den Referenten waren Anbieter sensomotorischer Einlagenkonzepte, Anwender aus der Orthopädieschuhtechnik, Ärzte und Wissenschaftler versammelt, so dass die Problematik aus allen Perspektiven beleuchtet werden konnte.

Studie(n) erforderlich

„Die Sensomotorik ist im Moment eines der spannendsten Themen in der Orthopädieschuhtechnik“, meinte Prof. Bernhard Greitemann, Vorsitzender des Beratungsausschusses der DGOOC, der das Symposium zusammen mit Wolfgang Best moderierte. In einem Impulsvortrag beleuchtete er zunächst schlaglichtartig den aktuellen Stand in diesem Bereich. Hinsichtlich der Nomenklatur stellte er klar, dass man eigentlich von „sensomotorisch stimulierenden Einlagen“ statt „sensomotorischen Einlagen“ sprechen müsse, da die Einlage Afferenzimpulse setze, auf die das motorische System dann reagiere.

Man wisse zwar, dass die Afferenzen Reize an das Zentrale Nervensystem (ZNS) weiterleiten, welches über die Efferenzen die motorische Antwort regele. Doch sei das sensomotorische System hochkomplex. „Wir wollen dieses komplexe System mit unseren verhältnismäßig einfachen schuhtechnischen Mitteln beeinflussen, und das ist kompliziert! Und die Reaktionen der Einlagenträger sind individuell sehr unterschiedlich. Zudem ist es extrem schwierig, die Effekte messbar zu machen. Dementsprechend herausfordernd ist es auch, in wissenschaftlichen Studien einen Nachweis für die Wirksamkeit sensomotorischer Einlagen zu erhalten“, so Greitemann.

In seiner ersten Stellungnahme zu sensomotorischen Fußorthesen hatte der Beratungsausschuss der DGOOC 2006 keine wissenschaftliche Evidenz gefunden. Da aber viele klinische Fallbeispiele zeigen konnten, dass derartige Versorgungen den Patienten helfen, habe man die Stellungnahme 2016 mit einer systematischen Literaturrecherche neu aufgesetzt. Mit Bezug auf diese Stellungnahme machte Greitemann klar, welche Fragen man sich, auch mit Blick auf den GKV-Spitzenverband, stellen müsse. „Welche Gruppen von Erkrankungen wollen wir adressieren? Welche Wirkorte und Wirkmechanismen haben wir? Welche höheren Anforderungen erfüllt eine sensomotorische Einlage, worin besteht der Mehraufwand gegenüber einer konventionellen Versorgung? Wie können wir eine bessere Vergütung rechtfertigen?“

In der Stellungnahme des Beratungsausschusses habe man die Instabilität des oberen sowie des unteren Sprunggelenks, die Plantarfasziitis, den Knick-Senk-Platt-Fuß des Kindes, teilweise auch des Erwachsenen, und die Achillessehnen-Tendinose als sinnvolle Indikationen gefordert. In Bezug auf den Rücken konnten bislang kaum wissenschaftlich haltbare Aussagen getroffen werden, da es hier noch schwieriger als am Fuß sei, Effekte zu messen, berichtete Greitemann.

Die höheren Kosten habe man in der Stellungnahme dadurch gerechtfertigt, dass die sensomotorische Einlagenversorgung einen erheblich größeren Aufwand erfordere. Angefangen bei der Diagnostik, die eine intensive Inspektion und Palpation, eine eingehende beobachtende sowie möglichst auch instrumentierte Ganganalyse umfassen sollte. Des Weiteren sei eine aufwändige strategische Therapiezielplanung mit Beschreibung der einzelnen Ansatzpunkte erforderlich. Hinzu komme, dass sowohl kurzfristige als auch nachfolgende Kontrollen und gegebenenfalls Anpassungen der Versorgungen nötig seien. Ergänzt wurde in der Diskussion, dass auch die Qualifikation und Fortbildung, die die sensomotorische Einlagenversorgung erfordere, den höheren Preis rechtfertigen könne.

Bernhard
Foto: C. Maurer Fachmedien
Prof. Bernhard Greitemann
Wolfagng
Foto: C. Maurer Fachmedien
Wolfgang Best

Mit Blick auf die Fortschreibung der PG 08 machte Greitemann klar, dass die sensomotorische Einlagenversorgung zwar aus dem Hilfsmittelverzeichnis ausgeschlossen, jedoch über Einzelfallgenehmigung immer noch möglich sei. Denn das Hilfsmittelverzeichnis sei nach wie vor keine abschließende, die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen beschränkende gesetzliche Regelung.

Bei ihm funktioniere die Genehmigung auf diesem Wege nach wie vor, aber er müsse die Verordnung ausführlich begründen. Manche Orthopädieschuhmacher würden auch eine aufwändige stützende, bettende Einlage abrechnen, habe er gehört. „Sauberer wäre es jedoch, eine verbindliche Regelung mit dem GKV-Spitzenverband hinzukriegen“, so Greitemann, „und dafür brauchen wir Studien.“

Welches Studiendesign ist sinnvoll?

„Wenn Sie die Wirksamkeit sensomotorischer Einlagen nachweisen wollen, dann sollten Sie, wenn irgend möglich, eine randomisierte, kontrollierte Studie (RCT) anstreben“, erklärte Dipl.-Psychologe Dr. Michael Schuler, Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Für eine aussagekräftige RCT müsse man zunächst eine eindeutige Definition der Zielgruppe vornehmen. Hier sei es empfehlenswert, sich pro Studie auf ein Krankheitsbild zu beschränken. Auch müsse die Intervention sowie die Bedingungen der Kontrollgruppe klar definiert werden.

Wichtig sei zudem, einen möglichst sinnvollen patientenrelevanten Outcome zu definieren. Dieser sollte erreichbar sein und am ehesten der zugrundeliegenden Fragestellung entsprechen. Bei Krankenkassen käme zum Beispiel der Outcome Schmerz sehr gut an. Zu beachten sei zudem, wie viele Probanden für die Studie gebraucht werden, um einen Effekt nachzuweisen – hierfür müsse statistische Expertise herangezogen werden.

Sinnvoll sei es auch, Patienten auszuwählen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch nach der Studie weiter befragt werden können. Je nach Auswirkung der Intervention benötige man ein regelmäßiges Monitoring der Patienten, auch ein Datenüberwachungskomitee könne sinnvoll sein. Vor der Studie sollte man ein Studienprotokoll erstellen, das man registrieren solle – dies belege, dass man nicht nur Studien mit positiven Ergebnissen veröffentliche. Auch die zuständige Ethikkommission müsse rechtzeitig eingeschaltet werden.

Der von Schuler vorgeschlagene Outcome Schmerz fand große Zustimmung unter den Referenten und Teilnehmern. „Der kindliche Knick-Senk-Platt-Fuß kommt dafür zwar nicht in Frage, denkbar wäre aber zum Beispiel die Plantarfasziitis“, gab Prof. Greitemann zu bedenken.

Wenn es darum gehe, die Krankenkassen zu einer Akzeptanz und Kostenerstattung der sensomotorischen Einlagenversorgung zu bewegen, müsse man in einer solchen Studie zeigen, dass sensomotorische Einlagen bei der jeweiligen Indikation einen größeren Effekt haben als konventionelle Einlagen, so Greitemann.

Lothar
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Lothar Jahrling
Stefan
Foto: C. Maurer Fachmedien
Stefan Woltring

Sensomotorische und konventionelle Einlagen – ein Unterschied?

Doch ist eine Trennung zwischen konventionellen und sensomotorischen Einlagen wirklich immer möglich? In seiner Eigenschaft als Moderator fragte Greitemann provokant, ob die sensomotorische Einlagenversorgung mit ihrer gezielten Setzung von Pelotten, Keilen, Flügelabsätzen et cetera nicht letztlich altbekannte orthopädieschuhtechnische Elemente nutze. Und wirke nicht letztlich nicht jede Einlage sensomotorisch?

In der Tat, machte der Sensomotorik-Experte Dr. Wolfgang Laube klar, sei jede Einlage eine Veränderung der Schnittstelle Fuß – Boden und stimuliere die Sensoren je auf ihre Weise, was dann, vermittelt über das ZNS, für einen entsprechenden motorischen Output sorge. In der Behandlung sei es aber ein großer Unterschied, ob man über die entsprechenden Zusammenhänge wisse und die stimulierenden Einlagenelemente gezielt einsetze.

Dem stimmten auch die Referenten Lothar Jahrling und Stefan Woltring, beide Anbieter von sensomotorischen Einlagen und entsprechenden Fortbildungen, zu. „Die sensomotorische Einlagenversorgung hat sich aus dem traditionellen Orthopädieschuhtechnik-Handwerk entwickelt“, betonte Jahrling, und Woltring bekräftigte: „Sie ist die konsequente Weiterentwicklung und eine Erweiterung unseres Spektrums. Die konventionelle Versorgung soll damit in keiner Weise diskreditiert werden und ist in vielen Fällen auch das Mittel der Wahl“.

Dennoch waren sich Greitemann, Laube, Jahrling und Woltring einig, dass die sensomotorische Einlagenversorgung einen anderen Denkansatz, ein ganzheitlicheres Verständnis von Haltung und Bewegung sowie ein tieferes Wissen um sensomotorische Zusammenhänge erfordere. Während die konventionelle Einlagenversorgung vor allem über Stützen und Betten arbeite, versuche man in der sensomotorischen Herangehensweise, durch die Stimulierung von Afferenzen die Aktivität einzelner Muskeln und die Bewegungssteuerung zu beeinflussen – durch Druckimpulse, wie auch durch Längenänderungen der Sehnen- und Muskelverläufe mittels der entsprechenden Einlagenelemente.

Hier gehe es nicht nur um Tonusminderung und Tonuserhöhung, machte Dr. Laube deutlich, sondern man setze dadurch sehr komplexe Veränderungen im sensomotorischen System in Gang, die zu einem veränderten motorischen Output führen – man nehmen Einfluss auf die Bewegungssteuerung. „Wir müssen um die Strategiefähigkeit des sensomotorischen Systems wissen“, erklärte Lothar Jahrling.

Durch die geänderte ­Situation, die die sensomotorische Einlage schaffe, müsse sich das sensomotorische System eine neue Strategie suchen, um Bewegung auszuführen – es lerne dabei. Was dabei im sensomotorischen System vor sich gehe, sei hochkomplex und nicht in Gänze verstanden, machte Dr. Laube klar. Die kaum zu überschauenden Vorgänge stellten hohe Anforderungen an den Behandler.

Thomas
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Thomas Stief
Dr.
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Dr. Michael Schuler
Wolfgang
Foto: C. Maurer Fachmedien
Dr. Wolfgang Laube

„Wir können nie davon ausgehen, dass wir durch ein und denselben Impuls bei verschiedenen Patienten, oder auch bei einem Patienten, immer das gleiche Ergebnis erzielen, machte Laube klar. Umso wichtiger sei es, die Versorgung individuell auf den Patienten abzustimmen. Im Nachgang müsse in jedem Fall kontrolliert werden, wie die Person auf die Intervention reagiert. Hier müsse man immer wieder bereit sein, erneute Anpassungen vorzunehmen, arbeiteten die Referenten heraus.

Je nach Voraussetzungen und Krankheitsbild behandele er etwa die Hälfte seiner Patienten mit konservativen, die andere Hälfte mit sensomotorischen Einlagen, verriet Stefan Woltring. Anhand von Videos zeigte er, dass bei zwei Schlaganfallpatienten, die zuvor mit Elektrostimulation (EMS) oder vergleichsweise teuren Orthesen versorgt worden waren, durch sensomotorische Einlagen eine deutliche Verbesserung des Gangbilds erreicht werden konnte.

„In Fällen wie diesen erzielen wir mit sensomotorischen Einlagen nicht nur ein besseres Behandlungsergebnis, sondern liefern sogar eine wesentlich wirtschaftlichere Versorgung“, so Woltrings Wink an die Kostenträger.

Neue RCTs zu sensomotorischen Einlagen

Doch was weiß die Wissenschaft inzwischen über die Wirkung sensomotorischer Einlagen? Dies beleuchtete Thomas Stief, Justus-Liebig-Universität Gießen. Er fasste zunächst die Auswertung der Studien zusammen, die der Beratungsausschuss in seiner Stellungnahme von 2016 gegeben hatte (s. Ausgabe 4/2016).

In den letzten zwei Jahren habe es darüber hinaus mehrere beachtenswerte randomisierte, kontrollierte Studien gegeben: Kerkhoff et al. konnten zeigen, dass sensomotorische Einlagen bei Volleyballerinnen mit Kniebeschwerden einen Einfluss auf die Muskelaktivitäten bei einbeinigen Landungen haben. Im Vergleich zu Weichbettungseinlagen erhöhten sensomotorische Einlagen den Einfluss des M. peroneus longus und des M. semitendinosus und verringerten den Einfluss des M. tibialis anterior während der Stabilisierungsphase.

Pasin Neto et al. untersuchten Kinder mit Infantiler Cerebralparese. Im Vergleich zu den Bedingungen „Barfuß“ und „Schuhe ohne Einlagen“ bewirkten sensomotorische Einlagen eine signifikante Verbesserung der Gangkinematik (verringerte Tibiarotation, erhöhte Dorsalextension, verringerte Knieflexion).

Ferreira et al. untersuchten 2017 Patienten mit Schlaganfall und Hemiparese. Die Interventionsgruppe, die mit Physiotherapie und sensomotorischen Einlagen versorgt wurde, zeigte nach drei Monaten eine deutlich bessere Standstabilität als die Kontrollgruppe, die nur Physiotherapie erhalten hatte. Der Körperschwerpunkt schwankte im beidbeinigen Stand mit offenen und geschlossenen Augen deutlich weniger, wenn im Schuh eine sensomotorische Einlage getragen wurde.

In einer Folgestudie an den gleichen Schlaganfall-Patienten wurde gezeigt, dass nach drei Monaten Tragen sensomotorischer Einlagen der Bewegungsumfang im oberen Sprunggelenk und am Kniegelenk signifikant erhöht und die Gangkinematik somit deutlich verbessert war.

Kostenerstattung: Die rechtliche Lage

Trotz der klinischen Erfolge mit sensomotorischen Einlagen und der Studienergebnisse, von denen Thomas Stief berichten konnte, ist die Kostenerstattung sensomotorischer Einlagen seit der Fortschreibung der PG 08 schwieriger geworden. „Krankenkassen sind insgesamt beim Thema Einlagenversorgung sehr sensibel geworden“, bestätigte Jörg Hackstein, Hartmann Rechtsanwälte. So hätten eine Vielzahl an Regressforderungen Einlagenversorgungen zum Anlass.

Ungünstig für die Kostenerstattung sensomotorischer Einlagen wirke sich zudem aus, dass der GKV-Spitzenverband bei Hilfsmitteln mit einer etwas anderen Funktion mittlerweile gern argumentiert, es handele sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Und diese müssen erst einmal vom G-BA geprüft werden.

Wie Hackstein darlegte, könne man jedoch durchaus die Ansicht vertreten, dass sensomotorische Einlagen keine neue Behandlungsmethode seien. Als nicht neu gelte eine Behandlungsmethode, wenn sie auf einer bekannten Wirkungsweise beruht. Dafür werde häufig zum Maßstab genommen, dass sich die Behandlungsmethode in den ärztlichen Leistungen (EBM) niedergeschlagen hat. Zwar finde sich keine EBM-Ziffer für die Verordnung von Hilfsmitteln, erst recht nicht von sensomotorischen Einlagen, so Hackstein.

Doch gebe es im EBM zwei Ziffern, die sich auf sensomotorische Übungsbehandlungen beziehen. Auch in der Heilmittelrichtlinie, die vom G-BA verabschiedet wurde, tauche die sensomotorische Behandlung auf. „Der G-BA geht also durchaus davon aus, dass das Wirkprinzip der Sensomotorik ein anerkanntes ist“, folgerte der Rechtsanwalt.

Wenn die sensomotorische Einlage aber keine neue Behandlungsmethode ist, heiße das trotzdem nicht per se, dass alle sensomotorischen Einlagen erstattet werden müssen, räumte Hackstein ein. Doch die Art des Nachweises sei eine andere. Denn für neue Behandlungsmethoden werden häufig Studien mit höchstem Evidenzgrad gefordert. Für Hilfsmittel mit bekannter Wirkungsweise reichen in der Regel auch ­Studien ­niedrigerer Evidenzklassen, um ins Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen zu werden, erklärte Jörg Hackstein.

„Wenn es in der PG 08 heißt, dass sensomotorische Einlagen im Hilfsmittelverzeichnis nicht berücksichtigt sind, weil die Nachweise zum medizinischen Nutzen nicht vorliegen und die Behandlung mit sensomotorischen Einlagen bei keiner Indikation als dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechend angesehen werden kann, dann stellt das eine klare Kompetenzüberschreitung des GKV-Spitzenverbands dar“, betonte der Referent. Der Spitzenverband habe lediglich die Ermächtigung, Produkte ins Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen und Anforderungen zu beschreiben, nicht aber, Produkte aus der Leistungspflicht auszuschließen.

Die Erfahrung von „Hartmann Rechtsanwälte“ sei, dass ein guter Teil der Krankenkassen immer noch sensomotorische Einlagen erstatte, wenn man die Verordnung vernünftig begründe; hier gebe es allerdings regionale Unterschiede. Selbst bei der Techniker Krankenkasse waren bereits Widersprüche von Versicherten erfolgreich, wenn sie darlegten, dass es sich bei sensomotorischen Einlagen nicht um eine neue Behandlungsmethode handele.

Gerichtsentscheidungen zur Kostenerstattung sensomotorischer Einlagen gebe es fast keine, in einigen wenigen Fällen sei im Einzelfall per Gutachten festgestellt worden, dass die sensomotorische Einlage dem betreffenden Patienten helfe. Daher riet Hackstein, die Versorgung gut zu dokumentieren, am besten auch mit Videoanalyse vor und nach der Versorgung, ein klares Therapieziel zu definieren und begründen zu können, warum die konventionelle Einlage dieses nicht erreichen kann.

„Wenn die konventionelle Einlage dieses Ziel ebenso gut erreicht, ist sie die wirtschaftlichere Versorgung, und dann hat der Patient keinen Anspruch auf die sensomotorische Einlage. In diesem Fall können Sie nur darüber nachdenken, die sensomotorische ­Einlage als Aufzahlungsprodukt abzugeben“, so Hackstein.

Er regte dazu an, ausgewählte Patienten argumentativ dabei zu unterstützen, gegen die Ablehnung der Krankenkasse Widerspruch einzulegen. „Natürlich können Sie nicht jeden Fall klären. Aber ein paar muss man angehen, sonst geht es nie weiter.“

RA
Foto: C. Maurer Fachmedien
RA Jörg Hackstein

Ausbildungsstandards schaffen

Von mehreren Referenten und Teilnehmern wurde im Verlauf des Symposiums vorgeschlagen, eine Arbeitsgruppe ins Leben zu rufen, die die Möglichkeit einer Studie zur sensomotorischen Einlagenversorgung bei mindestens einer ausgewählten Indikation konkret prüft. Als ebenso wichtig für die Überzeugung der Kostenträger wurde es angesehen, die verschiedenen Fortbildungswege, die es derzeit in der sensomotorischen Einlagenversorgung gibt, zu standardisieren.

Wie bisher könnten dann die erfahrenen Anbieter Fortbildungen in diesem Bereich anbieten, gegebenenfalls aber auch die Meisterschulen Sensomotorik-Kurse in Erwägung ziehen. Vorgeschlagen wurde, eine externe Stelle einzurichten, bei der die erreichte Qualifikation mit einer Prüfung und einem Zertifikat abgeschlossen und damit vor den Kostenträgern belegt werden könne.

Das nächste Sensomotorik-Symposium wird C. Maurer Fachmedien voraussichtlich 2020 veranstalten. Doch schon auf dem Kongress der 5. ORTHOPÄDIE SCHUH TECHNIK, die am 18. und 19. Oktober 2019 in Köln stattfindet, wird das Thema weiterverfolgt.

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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