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3. Dezember 2018
Redaktion

„Offenheit und Toleranz 
sind der größte Gewinn“

CHRISTINA BAUMGARTNER


„Integration ist kein Hexenwerk, sondern solides Handwerk. Man muss selbst Hand anlegen, damit sie gelingt“: So lautet das Motto der Johann Herges GmbH in Saarbrücken, die seit 
vielen Jahren Menschen mit Migrationshintergrund ausbildet und beschäftigt. Aufgrund 
dieses besonderen Engagements wurde der Betrieb für den Nationalen Integrationspreis 
der Bundeskanzlerin nominiert und von der Jury unter die „Top 10“ gewählt.

Fotos: Johann Herges GmbH

Bei der Schuhmanufaktur und Orthopädieschuhtechnik Herges in Saarbrücken ist die Integration von Flüchtlingen und Menschen mit Migrations­hintergrund seit vielen Jahren eine Selbstverständlichkeit. Insgesamt 16 Mit­arbeiter sind in dem Betrieb beschäftigt, sie kommen derzeit unter anderem
aus der Ukraine, Bosnien und Syrien – aber auch Menschen aus Rumänien und Afghanistan arbeiteten dort bereits. „Offenheit und Toleranz gegenüber anderen Kulturen sind der größte Gewinn dieses gemeinsamen Arbeitens“, sagt Geschäftsführerin Karin Herges. „Wir möchten ein Signal senden, dass Integration keine großen Konzepte braucht und nicht nur von der Gesellschaft, der Politik oder großen Unternehmen gemeistert werden kann, sondern in erster Linie von jedem Einzelnen“. Aufgrund dieses Engagements wurde die Schuhmanufaktur Herges für den Nationalen Integrationspreis der Bundeskanzlerin nominiert und von der Jury bei der Preisverleihung im Bundeskanzleramt am 29. Oktober unter die „Top 10“ gewählt (siehe Kasten, Seite 43).{pborder}  

Hilfe endet nicht an der Tür des Betriebes

„Es geht um viel mehr, nicht nur um die Ausbildung“, meint Johannes Herges, der den Betrieb gemeinsam mit seinen Eltern Karin und Otmar Herges führt. Denn die Hilfestellung endet bei den Herges nicht an der Ladentür. Auch nicht im Fall von Moneer Ben­she, der 2016 als syrischer Flüchtling nach Deutschland kam und inzwischen eine Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher im Betrieb von Familie Herges absolviert. Ob es um ein Kinderrad für Benshes fünfjährigen Sohn Yosef, die Organisation eines Integrationskurses für seine Ehefrau oder die Anmeldung der beiden Söhne zum Kindergarten geht: Bei den Herges wird ganz selbstverständlich mitangepackt, organisiert und auch dann Hilfestellung gegeben, wenn bürokratische Hürden wieder einmal alles zu blockieren scheinen.

Moneer Benshe kam 2016 als syrischer Flüchtling nach Deutschland und lernt nun den Beruf Orthopädieschuhmacher. Ein weiterer Auszubildender aus Afghanistan hat seine Lehre bei der Schuhmanufaktur und Orthopädieschuhtechnik Herges bereits erfolgreich abgeschlossen und ist inzwischen in Mannheim tätig
Moneer Benshe kam 2016 als syrischer Flüchtling nach
Deutschland und lernt nun den Beruf Orthopädieschuhmacher.
Ein weiterer Auszubildender aus Afghanistan hat seine Lehre bei
der Schuhmanufaktur und Orthopädieschuhtechnik Herges bereits
erfolgreich abgeschlossen und ist inzwischen in Mannheim tätig

Wie im Dezember 2016, als Moneer Benshe erfährt, dass seine Frau und die beiden Kinder aus Syrien nach Deutschland kommen können und er aufgrund dessen von Neunkirchen nach Saarbrücken umzieht. „Während das Jobcenter in Neunkirchen die Fahrtkosten zum Blockunterricht in Frankfurt ganz selbstverständlich übernommen hatte, weigerte sich das Amt in Saarbrücken plötzlich, diese zu bezahlen“, erzählt Karin Herges.

Alexandra Volokh aus der Ukraine ist seit 17 Jahren bei Familie Herges beschäftigt – zunächst als Lederwarenstepperin, inzwischen als Modelleurin
Alexandra Volokh aus der Ukraine ist seit 17 Jahren bei
Familie Herges beschäftigt – zunächst als Lederwarenstepperin,
inzwischen als Modelleurin

Gemeinsam kämpfte Familie Herges mit ihrem Auszubildenden dafür, dass er seine Ausbildung unter den gleichen Konditionen fortsetzen konnte, unterstützte ihn beim Briefwechsel mit dem Jobcenter und zahlreichen Behördengängen. Mit Erfolg: Schließlich willigte auch das Jobcenter Saarbrücken ein, die Fahrtkosten zu übernehmen.

Schwierige Wohnungssuche

Auch die Kaution für die neue Wohnung in Saarbrücken, die vom Jobcenter nicht übernommen wurde, bezahlte der Betrieb. „Ohne Kaution gibt es keine Wohnung und gerade als Flüchtling mit 
Familie und schwachen Deutschkenntnissen gestaltet sich die Wohnungssuche ohnehin sehr schwierig“, gibt Johannes Herges zu bedenken. Deshalb begleiteten die Betriebsinhaber ihren Auszubildenden auch bei Besichtigungsterminen und redeten mit Vermietern und Nachbarn, um das nötige Vertrauen herzustellen.

Vermeintliche Selbstverständlich­keiten hinterfragen

„Ich habe meine Mitarbeiter immer wieder motiviert, sich in die Flüchtlinge
hineinzuversetzen und einzufühlen“, meint Karin Herges. Auch weil vermeintlich Selbstverständliches auf den zweiten Blick oft gar nicht mehr so selbstverständlich ist. Wie zum Beispiel die Mülltrennung, die Anlass für einen Zwist zwischen Moneer Benshe und dessen Nachbar war. Als ihr Auszubildender davon im Betrieb erzählte, druckte Karin Herges ihm kurzerhand Informationen aus, setzte sich mit ihm zusammen und erklärte ihm detailliert, wie der Müll im Saarland getrennt werden soll.

Svetlana Pinkhos aus Russland arbeitet seit Mai 2018 als Lederwarenstepperin in dem Betrieb in Saarbrücken
Svetlana Pinkhos aus Russland arbeitet seit
Mai 2018 als Lederwarenstepperin in dem
Betrieb in Saarbrücken

Inzwischen hat sie viel Erfahrung im Umgang mit ihren Auszubildenden aus fernen Ländern sammeln können; ein unbegleiteter Flüchtling aus Afghanistan hat seine Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher bereits erfolgreich absolviert und ist inzwischen in Mannheim tätig. „Anfangs ist es bei fehlenden Deutschkenntnissen wichtig, langsam zu sprechen und alles zu hinterfragen“, erklärt Karin Herges. Zudem habe sie gleich zu Beginn klargemacht, dass für Streitereien um Religionszugehörigkeiten in ihrem Betrieb kein Platz sei und sich Mitarbeiter bei Problemen immer direkt an sie wenden sollten.

{slider=Drei Fragen an Moneer Benshe}

Was macht Ihnen in der Ausbildung am meisten SpaІ und was ist besonders schwierig?
Ich lerne gerne Neues und der Beruf Orthopädieschuhmacher ist sehr interessant für mich. Mit diesem Beruf hilft man anderen Menschen und ich helfe gerne. Schwierigkeiten habe ich mit den Fachbegriffen. Diese unterscheiden sich von der Sprache, die ich im Deutschkurs gelernt habe. Schwierig sind für mich die lateinischen und medizinischen Begriffe, die ich in der Schule lerne. Ein Wörterbuch darf ich in der Schule nicht benutzen. In den Klausuren reicht mir oft nicht die Zeit, um alle Fragen zu beantworten, obwohl ich die Antworten weiІ.

Warum haben Sie sich für eine Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher entschieden?
In Syrien war ich schon in der Branche tätig. Wir hatten ein Geschäft mit Gesundheitsschuhen für Kinder, Größe 20 – 36 mit einer halbindustriellen Fertigung. Falls wir nochmals nach Syrien zurückgehen sollten, kann ich den Kriegsverletzten helfen und ihnen Schuhe machen.

Was ist Ihrer Meinung nach die größte Hürde für Flüchtlinge, die in Deutschland eine Ausbildung beginnen möchten?
Die größte Hürde ist die Bürokratie und alles, was mit dem Job center zusammenhängt. Für mich wäre es besser, wenn die Berufsschule in Saarbrücken wäre. Ich habe zwei kleine Kinder und wenn ich nach Frankfurt zur Berufsschule fahre, müssen sie Wochen ohne mich auskommen. Ich habe für unsere Familie einen Weg gefunden, wie wir alle gut lernen können. Ich danke der Bundesrepublik Deutschland für die großartige Unterstützung, die sie den Flüchtlingen für die Integration anbietet. Insbesondere der Firma Herges und meinen Kollegen, die mir sehr geholfen haben.

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Sprache ist der Schlüssel

Bei aller Hilfe, die der Betrieb anbietet – eines ist Familie Herges sehr wichtig: „Der Wille seitens des Auszubildenden muss da sein“. Auch der Erwerb der deutschen Sprache sei für den reibungslosen Ablauf im Betrieb und die Kommunikation mit Kunden und Kollegen eine Grundvoraussetzung. Deshalb erhielt Moneer Benshe zu Beginn der Ausbildung eine Liste mit Wörtern aus dem Fachjargon, die regelmäßig abgefragt wurden, erzählt Karin Herges. Zudem sei ihm zweimal pro Woche ein weiterer Mitarbeiter mit Migrationshintergrund zur Seite gestellt worden, der für ihn als Ansprechpartner fungierte und die Fachbegriffe mit ihm lernte.

Da sich der Syrer mit dem Fachjargon in der Berufsschule immer noch schwer tut, würde er in Prüfungen gerne ein Wörterbuch benutzen. „Das aber ist ihm bisher verweigert worden“, legt Karin Herges dar. „Außerdem bräuchte er mehr Zeit für die schriftlichen Prüfungen – auch, weil er alles in Druckbuchstaben schreibt. „Anfragen unseres Lehrlingsbeauftragten in der Orthopädieschuhmacher-Innung für das Saarland und von Elisabeth Vogel (ZVOS) wurden aber kategorisch abgelehnt“, sagt die Geschäftsführerin.

Seitens der Handwerkskammer Hessen und des dortigen Prüfungsausschusses sei mitgeteilt worden, dass optional lediglich ein vereidigter Dolmetscher möglich sei, der jedoch vom Prüfling eingeschaltet und bezahlt werden müsse. Ein Nachteils­ausgleich, zum Beispiel in Form einer Schreibzeitverlängerung, sei in diesem Fall nicht möglich.
Deshalb möchte Familie Herges nun selbst die Initiative ergreifen und ein Schreiben an die Schule verfassen. Der Ausgang ist bisher noch ungewiss. Karin Herges zumindest hofft, dass sich eine Lösung findet – denn sie weiß, dass ihr Auszubildender das Wissen und die Kenntnisse hat, um eine gute Prüfung abzulegen.    

 

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Bilder aus dem Artikel:

 

Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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