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7. Juni 2018
Redaktion

Lernen, was Zukunft hat und Freude macht

Von Ulrike Kossessa: Talentierte Fachkräfte werden in der OST händeringend gesucht. Eine Umschulung ermöglicht einen späten Einstieg in den Beruf. Welche Voraussetzungen gibt es, wer trägt die Kosten und wo kann 
diese absolviert werden?


Talentierte
Foto: Agentur für Arbeit

Es gibt zahlreiche Lebenssituationen, in denen eine Umschulung in Frage kommt. Häufig sind gesundheitliche Probleme im bisherigen Beruf dafür verantwortlich, dass die Arbeit nicht weiter ausgeübt werden kann – zum Beispiel körperliche Einschränkungen und Allergien. Oder die Nachfrage in der entsprechenden Berufsgruppe ist aufgrund der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung stark zurückgegangen. Viele möchten sich auch aus persönlichen Gründen verändern, weil sie sich in ihrem Beruf unwohl oder als für die Tätigkeit nicht geeignet fühlen. Dieser seelische Zustand kann langfristig zu Überforderung oder Krankheit wie Burnout/Depression führen. Eine Umschulung ist eine Möglichkeit, sich zu qualifizieren, um den weiteren beruflichen Weg langfristig abzusichern. Da dies grundsätzlich erst einmal positiv zu sehen ist, werden die meisten Umschulungen in Deutschland von Rentenversicherung, Jobcenter oder Arbeitsagentur getragen. Denn solche Maßnahmen sind teuer und in vielen Fällen ist es während der Ausbildungszeit nicht möglich, parallel einer anderen Arbeit nachzugehen, die das nötige Geld zum Leben sichert. Hier gibt es staatliche Förderungsmaßnahmen, die sowohl die Gebühren für die Ausbildung als auch die Kosten für den Lebensunterhalt übernehmen.

Anders als bei der Fort- oder Weiterbildung geht es nicht darum, vorhandene Qualifikationen für den aktuellen Job auszubauen, hier wird vielmehr die Grundlage für eine berufliche Neuorientierung gelegt. Die Umschulung ist somit eine weitere, meist verkürzte Ausbildung, die dazu befähigt, einen neuen Arbeitsplatz anzutreten. In der Regel dauert dieser Prozess zwei Jahre (Vollzeit); die verkürzte Ausbildungsdauer begründet sich in der beruflichen Vorbildung des Arbeitnehmers. Denn Voraussetzung für eine Umschulung ist   neben einem Alter von mindestens 18 Jahren und ausreichenden Deutschkenntnissen, dass eine Berufsausbildung zumindest angefangen wurde. Sie muss nicht beendet sein. Andernfalls handelt es sich nicht um eine Umschulung, sondern um eine Erstausbildung.{pborder}

Ziel: Eine (drohende) Arbeitslosigkeit abwenden

Es genügt allerdings nicht, einfach keine Lust mehr auf seinen alten Job zu haben. Arbeitsagentur und Jobcenter verstehen sich weniger als Institutionen zur Karriereförderung, sondern versuchen mit unterschiedlichen Mitteln, eine drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder den Ist-Zustand der Arbeitslosigkeit zu beenden. Daher betrachten diese Behörden eine Umschulung auch nicht als das erste Mittel der Wahl, denn sie ist vergleichsweise lang und kostenintensiv. Auch kann sich der Arbeitsmarkt innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren verändern. Daher wird zunächst geprüft, ob eine Vermittlung in einen (anderen) Job oder eine Weiterbildung ebenfalls den gewünschten Effekt bringen könnte. Ist eine Anstellung im erlernten Beruf nicht mehr möglich, zum Beispiel wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen (auch psychischer Natur), kann dies zur Bewilligung der Förderung führen. Eine weitere Bedingung besteht darin, dass in dem Beruf, der durch die Umschulungsmaßnahme erlernt werden soll, die Berufsaussichten gut sind, um so die drohende 
Arbeitslosigkeit tatsächlich abzuwenden.

Die Umschulung ist eine „Kann-Leistung“, das heißt, der Sachbearbeiter der Agentur für Arbeit oder des Jobcenters entscheidet im Einzelfall. Der Antragsteller hat also keinerlei Recht auf eine Umschulungsmaßnahme und sollte seine Gründe direkt beim ersten Besuch plausibel darlegen.

Gute Voraussetzungen für Orthopädieschuhmacher/innen

Aufgrund des ständig steigenden Bedarfs medizinischer Hilfsmittel in unserer Gesellschaft sind die Zukunftsaussichten in der OST positiv. Da Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt gesucht werden, haben auch ältere Arbeitnehmer ab 50 Jahren gute Chancen auf eine Finanzierung ihrer Umschulung durch das Jobcenter. Die Umschulungsdauer beträgt normalerweise drei Jahre. Unter besonderen Umständen, die sich nach höheren schulischen Qualifikationen oder der beruflichen Vorbildung richten, kann die Umschulung auf zwei- oder zweieinhalb Jahre verkürzt werden. Ort der Umschulung ist ein Betrieb, der Produkte der Orthopädieschuhtechnik herstellt. Theoretische Kenntnisse werden in der Berufsschule vermittelt. Zugangsvoraussetzung ist in der Regel der Realschulabschluss, mit einigen zusätzlichen allgemeinbildenden Seminaren können aber auch Hauptschulabsolventen zur Umschulung zugelassen werden. Die Umschulung schließt mit der Gesellenprüfung ab.

Welche Leistungen werden durch die Agentur für Arbeit übernommen?

Die Förderungsmöglichkeiten für die Umschulung, die von der Arbeitsagentur vergeben werden, sind umfangreich:

Lehrgangskosten: Für die Umschulung gibt es zwei Möglichkeiten: Die betriebliche Umschulung, die sehr ähnlich abläuft wie eine gewöhnliche Berufsausbildung. Dabei fallen keine Lehrgangsgebühren an, außerdem erhält der Umschüler eine Ausbildungsvergütung. Das trifft auf die OST zu. Bei einer rein schulischen Umschulung hingegen fallen fast immer Lehrgangskosten an und es gibt keine Vergütung. Wenn die Teilnahme an der Umschulungsmaßnahme genehmigt wird, übernimmt die Arbeitsagentur in Form eines Bildungsgutscheins die gesamten Kosten.

Fahrtkosten: Die Teilnehmer haben Anrecht auf eine Erstattung der Fahrtkosten. Sollte es möglich sein, die Umschulung in der Nähe des bisherigen Wohnorts durchzuführen, erhält der Teilnehmer die Kosten für die tägliche Anfahrt zur Bildungseinrichtung beglichen. Ist ein Wohnortwechsel erforderlich, übernimmt die Arbeitsagentur einmalig die Kosten für die Anfahrt zur Bildungsstätte und bei der Beendigung die Kosten für die Heimfahrt. Darüber hinaus finanziert es einmal pro Monat die Fahrt zum bisherigen Wohnort.

Kosten für eine auswärtige Unterkunft: Sollte die Ausbildung in einer so großen Entfernung vom Wohnort stattfinden, dass es nicht zumutbar ist zu pendeln, wird eine auswärtige Unterbringung finanziert. Der Teilnehmer darf maximal 340 Euro pro Monat für die Mietkosten in Anspruch nehmen. Auch die Verpflegung wird bei einer auswärtigen Unterbringung gefördert. Die Teilnehmer erhalten in diesem Fall monatlich bis zu 136 Euro.

Kinderbetreuung: Die Arbeitsagentur bietet einen Zuschuss an, um Betreuungsmaßnahmen für Kinder unter 15 Jahren zu ermöglichen und auf diese Weise eine regelmäßige Teilnahme der Umschüler/in am Lehrgang sicherzustellen. Die Arbeitsagentur bezahlt pro Kind 130 Euro monatlich – unabhängig von den tatsächlich entstehenden Kosten.

Lebensunterhalt: Eines der größten Probleme bei einer Weiterbildungsmaßnahme besteht in den Kosten für den Lebensunterhalt. Zwar gibt es auch Umschulungslehrgänge, die in Abendkursen stattfinden und somit eine weitere Erwerbstätigkeit ermöglichen, in vielen Fällen müssen die Teilnehmer jedoch ganztägig an der Ausbildung teilnehmen. Es kommt hinzu, dass viele von ihnen bereits arbeitslos sind, sodass kein regelmäßiges Einkommen anfällt. Die Arbeitsagentur kommt daher auch für den normalen Lebensunterhalt auf und bezahlt während der Umschulungsmaßnahme weiterhin das Arbeitslosengeld. Da dieses nur zeitlich befristet ausbezahlt wird, gibt es hier einige Sonderregelungen: Während der Umschulung wird nur die Hälfte der tatsächlichen Zeit vom Bezugszeitraum für das Arbeitslosengeld abgezogen. Wenn sich dieser bereits seinem Ende zuneigen sollte, bleibt außerdem immer ein Restanspruch von 30 Tagen bestehen. So haben die Teilnehmer noch einen Monat zur Verfügung, um eine Arbeit im neuen Beruf zu suchen.

Berufliche Rehabilitation

Wer aufgrund gesundheitlicher Probleme den Beruf wechseln möchte, kann sich an die Deutsche Rentenversicherung wenden. Sie finanziert Leistungen zur beruflichen Rehabilitation bzw. zur Berufsförderung. Die Leistungen können allein oder auch ergänzend zu einer bereits erfolgten medizinischen Rehabilitation durchgeführt werden. Der Fachbegriff dafür lautet „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“. Es geht um Maßnahmen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes und um Aus- und Weiterbildungsangebote, die neue berufliche Perspektiven ermöglichen. Hierzu gehört auch eine Umschulung zum/zur Orthopädieschuhmacher/in, die zum Beispiel von Berufsförderungswerken angeboten wird, 24 Monate umfasst und mit einer Prüfung vor der Handwerkskammer ihren Abschluss findet.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn ohne diese Leistungen eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gezahlt werden müsste (bzw. aktuell wird) oder die Leistungen unmittelbar im Anschluss an eine medizinische Rehabilitation erforderlich sind, um diese erfolgreich zu beenden. Je nach Voraussetzung sind Wartezeiten zu erfüllen, zu denen Pflichtbeiträge und freiwillige Beiträge, Kindererziehungszeiten und Zeiten aus dem Versorgungsausgleich zählen. Auch hier ist eine individuelle Beratung im Vorfeld angeraten. Der Antrag für eine Rehabilitation wird bei den gesetzlichen Krankenkassen und Versicherungsämtern oder direkt beim Rentenversicherungsträger gestellt.

Die Palette der „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“ ist groß und umfasst Wohnungshilfen genauso wie Arbeitsassistenz für Schwerbehinderte und Gründungszuschüsse für den Aufbau einer selbstständigen Tätigkeit. Individuelle Faktoren wie Eignung, Neigung oder die bisherige Tätigkeit sowie die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt fließen in die Entscheidung mit ein. Durchgeführt werden die Leistungen möglichst am Wohnort. Nur wenn die Behinderung es erfordert, kann die Ausbildung stationär in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation stattfinden. Berufliche Rehabilitationsleistungen dauern grundsätzlich so lange, wie sie für das angestrebte Berufsziel allgemein üblich oder vorgesehen sind. Weiterbildungen, die ganztägig stattfinden, sind auf zwei Jahre begrenzt. Der zuständige Rentenversicherungsträger übernimmt die gesamten Kosten für die Leistungen zur beruflichen Rehabilitation, inklusive eines Übergangsgeldes. Berufsförderungswerke sowie regionale berufliche Reha- und Integrationszentren (BRIZ) halten wohnortnahe Angebote für den Wiedereinstieg in den Beruf vor.

Zu alt für eine Umschulung?

Das Jobcenter muss bei jedem Antragsteller im Einzelfall prüfen, ob eine Umschulungsmaßnahme erfolgversprechend in Bezug auf seine weitere berufliche Laufbahn ist. Das Alter darf dabei nur insofern berücksichtigt werden, als dass der Antragsteller körperlich den Umschulungsberuf voraussichtlich noch bis zum Rentenalter wird ausüben können. Dies bedeutet, dass auch Menschen, die die 50 bereits erreicht oder überschritten haben, die Möglichkeit bekommen müssen, durch eine Umschulungsmaßnahme weiterhin am 
Arbeitsleben aktiv teilzunehmen.

Umschulung in Teilzeit?

Beispiel: Das Institut für Berufliche Bildung, einer der größten privaten Bildungsträger Deutschlands, bietet neben Umschulungen in Vollzeit auch ausgewählte Umschulungen in Teilzeit an. Diese dauern 33 Monate (Vollzeit 24 Monate), umfassen ca. 2688 Unterrichtseinheiten und finden Montag bis Freitag von 8.45 bis 13.30 Uhr am Standort oder im Praktikumsbetrieb statt. Die Teilzeit-Umschulung enthält eine Praktikumsphase von sechs Monaten am Stück und eine sechsmonatige Unterrichtsphase mit je zwei Tagen pro Woche im Praktikumsbetrieb.

Elisabeth Teneyken (siehe auch Seite 38) fand nach einigen eher ernüchternden Anfragen bei Handwerkskammern Unterstützung von der IHK. Die Regionalagentur Mittlerer Niederrhein hatte bereits 2009 das Programm Teilzeitausbildung des Landes NRW publik gemacht und in den IHKs vorgestellt. „Dort hatte sich ein stärkeres Bewusstsein dafür ausgeprägt, Frauen bzw. Mütter wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ein Mittel hierfür ist die Umschulung in Teilzeit, die ich dann in Anspruch nehmen konnte“, erzählt 
Teneyken. „Inzwischen haben sich zu diesem Interessensgebiet sogar spezielle Netzwerke gebildet“. 
Ihre praktische Ausbildung absolvierte Teneyken im Betrieb von Dirk Eskes, der ihr die Anwesenheit in Teilzeit sowie eine hohe Flexibilität ermöglichte. Trotz 
reduzierter Präsenz erhielt die Auszubildende nicht nur das volle Lehrgehalt, sie erlernte auch den gesamten Stoff und das Handwerk in der Regelzeit von drei Jahren. Elisabeth Teneyken: „Das war kompakt und fordernd für mich, aber optimal in meiner Lebenssituation mit drei Kindern.“

Ausgabe 06 / 2018

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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