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8. Februar 2017
Redaktion

„Kompressionstherapie sollte individualisierter durchgeführt werden“

Dr. Stefanie Reich-Schupke hat am 16. Januar 2017 die Professur für Phlebologie an der Ruhr-Universität Bochum übernommen. Die von der Bauerfeind AG gestiftete Professur soll unter anderem die Forschung zur Kompressions therapie voranbringen. Wir haben Dr. Reich-Schupke gefragt, welche Themen und Projekte sie in den nächsten Jahren angehen möchte. Von Wolfgang Best

Hauptanliegen
Foto: privat

Frau Dr. Reich-Schupke, welche Aufgaben wird Ihre Professur umfassen?

Meine Tätigkeit wird dreigeteilt sein. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet die Forschung. Die Lehre beziehungsweise Ausbildung von Medizinstudenten ist ein weiterer Teil. Der dritte Part ist die Patientenversorgung.

In der Regel macht in der Medizin die Patientenversorgung den größten Teil der Tätigkeit aus, die Forschung findet eher am Wochenende und an Feiertagen statt. Ich werde der Forschung dagegen zwei Drittel meiner Zeit widmen können. Der Rest teilt sich auf die Patientenversorgung und die Lehre auf.

Auf welche Bereiche wird sich Ihre Forschung konzentrieren?

Es gibt bereits einige Projekte, die in den Startlöchern stehen. Einige von ihnen drehen sich um die Kompressionstherapie.  Insgesamt aber ist unser Ziel, der Entstehung von Krampfadern und Venenleiden auf die Spur zu kommen. Bislang kann man sie zwar behandeln, aber wenn man ehrlich ist, kann man sie nur lindern, nicht heilen. Mit Spritzen oder Operieren erreicht man meist nur eine vorübergehende Ruhe, bis das Leiden früher oder später wiederkommt – beim einen Pa­tienten mehr, beim anderen weniger. Man weiß noch nicht, warum Krampfadern und Venenleiden entstehen und immer wiederkommen. Wir wollen versuchen, hier Licht ins Dunkel zu bringen.

Mit welchen Forschungsansätzen wollen Sie diesen Fragen auf die Spur kommen?

Zum einen mit klinischer Forschung, die auch die Patientenversorgung betrifft. Da wird es um Me­thoden­verbesserungen bei der Kompressionstherapie und bei operativen und interventionellen Verfahren gehen. Darüber hinaus stehen uns die Einrichtungen der Ruhr-Universität Bochum zur Verfügung. Da könnten wir zum Beispiel in Kooperationsprojekten mit dem Medizinischen Proteom-Center Bochum, das sich mit der Aufschlüsselung menschlicher Eiweiße be­­s­chäf­tigt, weit in die Grundlagenforschung gehen.

Wir werden sicher Kooperationsforschungsprojekte im Rahmen der Ruhr-Universität Bochum haben. Gerade bereiten wir multizentrische, nationale Projekte vor, an der auch andere Schwerpunktkliniken beteiligt sein werden. Außerdem übernehmen wir Auftragsstudien für die Indus­trie.

Wie finanziert sich die Grundlagenforschung?

Die Grundlagenforschung wird üblicherweise über Drittmittel finanziert. Es gibt Möglichkeiten, eine Förderung bei der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie zu beantragen oder Forschungsanträge bei den üblichen Geldgebern, wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder dem Bundesministerium für Bildung und Forschung zu stellen. Es ist jedoch nicht leicht, an solche Gelder zu kommen. Deshalb ist es wichtig, sich gut zu vernetzen und Kooperationen zu bilden.{pborder}

Bis 2004 gab es eine Professur für Phlebologie, danach nicht mehr. Woran lag das?

Das liegt zum Teil daran, dass die Phlebologie kein eigenes Fach ist. Um Phlebologe zu werden, muss man vorher eine andere Facharztausbildung gemacht haben, Dermatologie, Allgemeinmedizin, Chirurgie oder Innere Medizin. Die Phlebologie ist also eher eine Subdisziplin und das Meiste spielt sich nicht in den Kliniken, sondern in den Praxen ab. In diesen sind die Strukturen für größere Forschungsprojekte in der Regel aber nicht gegeben. Auch wenn die Patientenversorgung in den großen, spezialisierten Zentren gut funktionierte, gab es also wenig wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Phlebologie.

Im Venenzentrum in Bochum war ich seit 2005 am Aufbau neuer Strukturen beteiligt, wir haben mehrere Forschungsprojekte angestoßen. Dennoch war das eher Feiertags- und Wochenendforschung; die Patientenversorgung stand im Vordergrund. Das wird jetzt anders werden. Es ist sowohl vom Stifter als auch von der Universität gewollt, dass wir die Forschung und das Fach Phlebologie in den Vordergrund rücken und dass wir für die entsprechenden Krankheitsbilder sensibilisieren. Venenleiden sind eine Volkskrankheit; ein Drittel der Bevölkerung ist betroffen. Es muss noch einiges an Aufklärungsarbeit geleistet werden. Immer noch werden Besenreiser und Krampfadern als kosmetisches Problem und offene Beine als Schicksalsschlag verstanden. Hier muss vermittelt werden, dass dies echte Erkrankungen sein können und dass es nicht so weit kommen muss – man kann etwas dagegen tun.

Glauben Sie, dass Ihre Forschung auf die Ausbildung von Ärzten an anderen Universitäten ausstrahlen kann?

Das ist unser Plan. Es gibt in der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Aufstellung der Lehre in der Phlebologie beschäftigt. Sie wird sich auch damit befassen, was man aus Bochum übernehmen kann. Das ist wichtig, denn im Moment werden Ärzte oftmals erst in der Praxis, wenn sie auf ein offenes Bein stoßen, mit Venenleiden konfrontiert.

Es gibt eine Vielzahl operativer Möglichkeiten zur Behandlung von Venenleiden. Wie schätzen Sie angesichts dessen die Zukunft der konservativen Therapie mit Kompressionsstrümpfen ein?

Ich denke, die konservative Therapie wird weiterhin eine feste Größe in der Behandlung von Venenleiden sein. Es gibt Patienten, die aus den verschiedens­ten Gründen nicht operiert werden wollen oder können, weil weder gefäß­chirurgische noch interventionelle Operationen in Frage kommen. Auch bei Thrombosen und offenen Beinen ist die Kompressionstherapie zumindest im deutschsprachigen Raum nach wie vor unbestritten.

Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die Kompressionstherapie künftig individualisierter durchgeführt werden muss. Denn wir haben zunehmend ein anderes Spektrum von Patienten; sie sind älter und haben Komorbiditäten. Man kann nicht mehr einfach sagen: Alle kriegen Klasse II bis zum Oberschenkel. Vielmehr muss differenzierter betrachtet werden, welche Begleiterkrankungen die Patienten haben oder welche Schwierigkeiten sie haben, den Kompressionsstrumpf anzuziehen. Ich denke, dass zumindest bei denen, die sich intensiver mit der Kompressionstherapie befassen, ein wesentlich differenzierterer Umgang mit Klasse II, Klasse III, Flachstrick und Rundstrick sowie dem Thema Stiffness stattfinden wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ausgabe 02/ 2017

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Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
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